20.12.2021 | Virusvariante

Was wir bisher über Omikron wissen

Die neue Virusmutation verbreitet sich inzwischen auch in Europa rasant. Was die Forschung bislang über Infektionsdynamik, Krankheitsverläufe und Impfschutz sagen kann, erklärt ÖAW-Molekularmediziner Andreas Bergthaler im Interview.

Künstlerische Darstellung der Omikron-Variante
© Shutterstock

Am 9. November 2021 wurde Omikron erstmals in einer Probe in Südafrika und Botswana nachgewiesen. Seitdem beobachten Wissenschaftler/innen rund um den Globus die Ausbreitung der Virusmutante mit Sorge. Bereits am 10. Dezember stufte die Weltgesundheitsorganisation WHO das globale Gesamtrisiko als „sehr hoch“ ein. Inzwischen gibt es auch in Österreich mehrere Fälle und mit Blick auf Europa verbreitet sich Omikron aktuell besonders in Großbritannien und Dänemark rasant.

Was also wissen wir bisher über Omikron? „Derzeit kann man der internationalen Wissenschaft live dabei zuschauen, wie sie in unglaublich kurzer Zeit versucht die wichtigsten Fragen zu Omikron zu beantworten“, sagt Andreas Bergthaler vom CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Bergthaler und sein Team führen jede Woche hunderte von Sequenzierungen durch. Sein Labor beobachtet daher die Entwicklung von Omikron in Österreich und international genau. Und auch, wenn viele Fragen noch offen sind, ist Omikron für die Forschung inzwischen keine ganz unbekannte Größe mehr, wie Bergthaler im Interview erklärt.

Omikron gilt als deutlich ansteckender als die derzeit vorherrschende Delta-Variante. Gibt es bereits Hinweise für eine veränderte Krankheitsschwere?

Andreas Bergthaler: Für schwerere Krankheitsverläufe gibt es bisher keine Hinweise. Daten aus Südafrika deuten darauf hin, dass Omikron mit tendenziell milderen Verläufen einhergeht. Unter anderem auch darauf, dass jüngere Personen, also Kinder, vermehrt betroffen sind. Allerdings: Diese Daten muss man im Kontext der sehr starken Durchseuchung durch die Delta-Welle, die davor in Südafrika stattgefunden hat, sehen. Den ersten klinischen Daten aus Europa, also aus England und Dänemark, zufolge, sind die Krankheitsverläufe nicht merkbar milder als bei Delta.

Den ersten klinischen Daten aus Europa, also aus England und Dänemark, zufolge, sind die Krankheitsverläufe nicht merkbar milder als bei Delta.

Lässt sich schon abschätzen, wie hoch die Letalität dieser veränderten Variante ist, also die Wahrscheinlichkeit, an der Erkrankung zu sterben?

Bergthaler: Dafür ist es tatsächlich noch zu früh. Diese neue Omikron-Infektionswelle beispielsweise in England ging sehr schnell vor sich. Dementsprechend dauert es noch eine gewisse Zeit, bis man gesichertes Wissen über die Hospitalisierungs- und Sterberate hat. Aber: Es spricht einiges dafür, dass es sich ähnlich verhält wie bei Delta.

Nach derzeitigem Wissensstand: Wie gut schützen die Impfstoffe?

Bergthaler: Derzeit kann man der internationalen Wissenschaft live dabei zuschauen, wie sie in unglaublich kurzer Zeit versucht die wichtigsten Fragen zu Omikron zu beantworten. Dadurch können sich aber auch Rückschlüsse wieder ändern, sobald weitere noch belastbarere Daten  verfügbar sind. Was man aus den Resultaten der vergangenen zwei Wochen sowohl in der Petrischale als auch vermehrt bei geimpften Personen ablesen kann, ist: Zweifach geimpfte Personen verfügen bei Omikron über sehr wenig bis keinen Schutz. Und: Eine Auffrischungsimpfung, wenn sie nicht zu weit zurückliegt, bietet einen wirksamen Schutz vor symptomatischer Erkrankung. Hier gibt es Zahlen von plus/minus 70 Prozent Schutzwirkung. Das sind die guten Nachrichten.

Zweifach geimpfte Personen verfügen bei Omikron über sehr wenig bis keinen Schutz. Eine Auffrischungsimpfung, wenn sie nicht zu weit zurückliegt, bietet einen wirksamen Schutz vor symptomatischer Erkrankung.

Und wie lange hält der Schutz durch eine Booster-Impfung an?

Bergthaler: Dazu gibt es noch keine ausreichenden Daten.

Wie könnte das beste und das schlimmste Szenario zu Omikron aussehen?

Bergthaler: Das beste Szenario wäre, wenn Omikron viel, viel mildere Krankheitsverläufe verursachen würde – das würde die hohen Infektionszahlen, die zu erwarten sind, stark relativieren. Wie gesagt spricht aber schon jetzt einiges dagegen. Und das schlimmste Szenario wäre, wenn wir sehen, dass diese Variante die bestehende Immunität, sei es bei Genesenen wie bei Geimpften, tatsächlich massiv unterlaufen würde – und gleichzeitig zumindest ähnlich viele schwere Krankheitsverläufe wie Delta zeitigt. Das würde uns natürlich gewaltig zurückwerfen.

Es gibt entsprechende Überlegungen in Ländern wie England, Dänemark, Holland und auch in Österreich, wie denn dieses Worst-Case-Szenario genau aussehen würde und wie man sich in den nächsten Tagen und Wochen entsprechend vorbereiten muss.

Warum die große Besorgnis?

Bergthaler: Weil sich in den vergangenen Wochen die Bedenken, die man ursprünglich hatte, bestätigt haben. Zum einen zeigt Omikron eine sehr starke Wachstumskinetik – nicht nur in Südafrika, sondern auch in den anderen europäischen Ländern, etwa in Großbritannien und Dänemark, deren Bevölkerungsstruktur und Gesundheitswesen besser mit Österreich vergleichbar sind. Das bedeutet somit ein sehr großes Problem, wenn die Infektionszahlen tatsächlich so stark in die Höhe schnellen, wie man es gegenwärtig in London beobachtet.

Derzeit kann man der internationalen Wissenschaft live dabei zuschauen, wie sie in unglaublich kurzer Zeit versucht die wichtigsten Fragen zu Omikron zu beantworten.

Leider bestätigt sich auch, dass durch die große Anzahl der Mutationen im Spikeprotein die Antikörper viel schlechter schützen. Das ist ein Problem bei Genesenen und zweifach Geimpften. Und: Das ist auch ein Problem für einige monoklonale Antikörper, die als Therapeutika wirkungslos sein werden. Gleichzeitig ist es glücklicherweise so, dass eine Booster-Impfung sowie manche Therapeutika immer noch wirken. Es ist nicht schwarz-weiß, aber Omikron bietet in mehrerer Hinsicht einen Grund zur Besorgnis.

Omikron entzieht sich teilweise der Wirkung des Impfstoffs. War mit einer derartigen Escape-Variante zu rechnen?

Bergthaler: Es war immer im Bereich des Möglichen, aber man konnte nicht vorhersehen, dass ein solcher Fall gerade jetzt eintrifft. Umgekehrt war es überraschend, wie schnell Delta sich ab Juni ausgebreitet hatte und jetzt – zumindest in England – offensichtlich komplett zurückgedrängt wird. Ich würde mich daher hüten, allzu bestimmt die Zukunft zu kommentieren. Wenn man etwas dazu sagen kann, dann wohl, dass Omikron nicht die letzte Variante gewesen sein wird. Es ist auch möglich, dass Varianten vermehrt co-zirkulieren. Also dass nicht nur Omikron zirkuliert, sondern auch weiterhin Delta. Da sind einige offene Fragen, die man von wissenschaftlicher Seite versucht zu beantworten.

Omikron ist also keine Unbekannte mehr?

Bergthaler: Nein, es haben sich in den vergangenen Wochen schon viele Nebelschleier gelichtet. Was man nicht vergessen sollte: Es ist immer noch ein SARS-CoV-2 Virus. Das heißt, all die hinlänglich bekannten Maßnahmen, die man im eigenen Leben treffen kann: Maske tragen, große Ansammlungen in Innenräumen vermeiden, Räume durchlüften etc. können helfen, dass die Viruszirkulation gerade in der kälteren Jahreszeit möglichst gebremst wird. Jeder einzelne kann hier einen Beitrag leisten, unabhängig davon, was die Politik entscheidet

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Bergthaler ist Forschungsgruppenleiter am CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er studierte an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Forschungsarbeit im Bereich von Virologie und Immunologie führte ihn u.a. an die ETH Zürich, die Universität Genf und das Institute for Systems Biology in Seattle. 2015 wurde er mit einem Starting Grant des European Research Council (ERC) ausgezeichnet.