13.09.2019 | Folgen von Technik

ADIEU PRIVATSPHÄRE?

Datenschutz ist in aller Munde. Unsere Daten gelangen trotzdem in die falschen Hände. Warum ist das so? Was können wir dagegen tun? Stefan Strauß, Wirtschaftsinformatiker an der ÖAW, geht diesen Fragen in seinem neuen Buch nach.

© Unsplash/Kon Karampelas
© Unsplash/Kon Karampelas

„Es steht einiges auf dem Spiel“, mahnt Stefan Strauß. In seinem eben erschienenen Buch „Privacy and Identity in a Networked Society“ befasst sich der Wissenschaftler vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit einem gefährdeten Gut. „Ich sehe derzeit eine klare Tendenz zu einer immer stärkeren Bedrohung der Privatsphäre“, sagt er. In seiner Publikation betrachtet Strauß dieses sozio-technische Problem aus systemischer Perspektive. Er identifiziert ein zentrales Risiko, das unsere Privatsphäre gefährdet. Und er entwickelt ein Rahmenkonzept für Datenschutzfolgenabschätzung, das helfen kann sie zu schützen.

Unsere Privatsphäre scheint durch die Digitalisierung auf vielerlei Weise gefährdet. Sie identifizieren dabei ein zentrales Grundproblem. Was ist diese „digitale Erkrankung“, wie Sie es nennen?

Stefan Strauß: Ich sehe unkontrollierte sozio-technische Identifizierbarkeit als das primäre Risiko. Denn Bedrohungen der Privatsphäre beginnen immer mit der Verarbeitung von Daten, die Rückschlüsse auf die Identität einer Person zulassen. Das gilt universal und die digitale Transformation der Gesellschaft verschärft das. Jede Nutzung einer Technologie erzeugt weitere Daten. Damit wachsen unsere Identitätsschatten und in Folge die Risiken für die Privatsphäre.

Bedrohungen der Privatsphäre beginnen immer mit der Verarbeitung von Daten, die Rückschlüsse auf die Identität einer Person zulassen.

Was macht eine Erosion der Privatsphäre so gefährlich?  

 

Stefan Strauß: Es steht einiges auf dem Spiel, wenn man Privatsphäre leichtfertig aufgibt. Geht sie verloren, geht über kurz oder lang auch die Demokratie verloren. Der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica beispielsweise ist keine Kleinigkeit. Das ist auch kein Einzelfall, sondern eher ein Symptom. Zu glauben, die Gesellschaft wird ohne Privatsphäre offener und freier, ist sehr kurzsichtig. Mit zunehmender Digitalisierung entstehen zugleich auch immer stärkere Machtmonopole. Diese Machtmonopole sind letztlich Informationsmonopole, die immer mehr zu Monopolen über digitale Identitäten werden.

Was schlagen Sie also vor?

Stefan Strauß: Aus meiner Sicht braucht die Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz mehr Systemdenken. Das bringt einen analytischen Mehrwert, um Privatsphäre und Identitätsinformation sowie ihre Digitalisierung besser zu verstehen. Davon ausgehend habe ich in meinem Buch ein neues Framework für Privacy Impact Assessment (Datenschutzfolgeabschätzung) erarbeitet, das systemisch auf Identifizierbarkeit fokussiert. Dieses Framework trägt dazu bei, Identitätsinformation und Identifikationsprozesse besser zu analysieren und den Schutz der Privatsphäre zu erhöhen. Dabei geht es weniger um rechtliche, sondern vor allem um ethische Aspekte: Nur weil etwas nicht verboten ist, heißt das nicht, dass es ethisch ok ist.

Viele Privacy-Einstellungen, vor allem in sozialen Medien, sind im Grunde nutzlos, weil im Hintergrund sehr viele Daten zu äußerst intransparenten Zwecken verkettet werden können.

Sie kritisieren in Ihrem Buch auch die „Privatisierung der Privatsphäre“. Was verstehen Sie darunter?

Stefan Strauß: Damit meine ich den Trend, die Verantwortung immer mehr auf das Individuum abzuschieben. Wenn es also heißt: Privatsphäre ist wichtig, aber wenn du sie willst, lieber User, dann kümmere dich selber darum. Hier sind deine Privacy-Einstellungen und vorher musst du zustimmen, Daten umfassend weiterzugeben. So funktioniert das einfach nicht. Viele dieser Privacy-Einstellungen, vor allem in sozialen Medien, sind im Grunde nutzlos, weil im Hintergrund sehr viele Daten zu äußerst intransparenten Zwecken verkettet werden können. Das sind Probleme, die man angehen muss. Dazu braucht es mehr Verantwortung seitens Wirtschaft und Politik und wirksamere Schutzmechanismen auf technologischer Ebene. Momentan ist man praktisch jederzeit identifizierbar, sobald man eine digitale Technologie ohne wirksamen Schutz nutzt.

Was hoffen Sie mit Ihrem Buch zu erreichen?

Stefan Strauß: Ich möchte in erster Linie einen Beitrag dazu leisten, das Wissen zu erweitern, was Privatsphäre in der Digitalisierung bedeutet. Wir verstehen bislang einfach nicht hinreichend, wie die Digitalisierung die Verarbeitung von Informationsflüssen verändert. Es braucht ein fundiertes Grundlagenwissen, damit Privatsphäre längerfristig als schützenswertes Gut gestärkt werden kann. Und zwar nicht nur als privates Gut und Individualrecht, sondern vor allem auch als ein öffentliches Gut. Dieses Grundverständnis zu verbessern und damit auch das Schutzniveau wieder auf ein sinnvolles Maß zu bringen, ist eine zentrale Herausforderung der Gesellschaft.

 

AUF EINEN BLICK

Stefan Strauß ist promovierter Wirtschaftsinformatiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW. Sein neues Buch „Privacy and Identity in a Networked Society“ ist 2019 beim Verlag Routledge erschienen.