11.10.2018

Als die Schweden vor Wien standen

Der Dreißigjährige Krieg spielt im Gedächtnis Österreichs kaum eine Rolle. Dabei waren die Habsburger unmittelbar in den europäischen Konflikt involviert und die Schweden standen einst vor Wien. Eine Tagung an der ÖAW blickte 400 Jahre zurück und in das kollektive Gedächtnis der Gegenwart.

Mit dem Zweiten Prager Fenstersturz begann der Dreißigjährige Krieg. Der Aufstand der protestantischen böhmischen Stände richtete sich gegen die Rekatholisierungsversuche von Kaiser Ferdinand II. aus dem Hause Habsburg. (c) Wikimedia Commons

Dass die Osmanen 1683 Wien belagerten, weiß vermutlich fast jeder in Österreich. Doch dass auch die Schweden im Dreißigjährigen Krieg vor der Stadt standen und Teile Niederösterreichs besetzt hielten, ist wohl nur wenigen bekannt. „In Österreich spielt der Krieg in diesem von Jubiläen geprägten Jahr nahezu kaum eine Rolle“, sagt die Historikerin Katrin Keller daher.

Das soll eine Tagung des von Keller geleiteten Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)  ändern. Am 17. und 18. Oktober diskutierten Geschichtswissenschaftler/innen, wie die großen Länder der Monarchie in den Krieg involviert und von ihm betroffen waren. Dabei wurde auch der Blick in die Gegenwart gerichtet und danach gefragt, wie der oftmals als europäische „Urkatastrophe“ bezeichnete Konflikt heute in Österreich und darüber hinaus erinnert wird.

Welche Themen stehen im Fokus der Konferenz „Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg“?

Katrin Keller: Der Dreißigjährige Krieg gilt zwar in der mitteleuropäischen Geschichte als ein bedeutendes Ereignis, in Hinblick auf die Habsburgermonarchie wurde er jedoch weniger behandelt. Im Rahmen unserer Tagung versuchen wir das erste Mal einen Überblick für alle großen Länder der Monarchie in Bezug auf den Dreißigjährigen Krieg. Dabei stellt sich sowohl die Frage, inwieweit die einzelnen Länder direkt militärisch in den Krieg involviert waren, als auch inwiefern sie mit den Auswirkungen des Krieges konfrontiert waren. Außerdem wollen wir anhand von zeitgenössischen Texten der konkreten Kriegswahrnehmungen nachgehen. In einem letzten Komplex geht es uns um das Thema Erinnerung. Hier möchten wir diskutieren, wie der Krieg bezogen auf das Gebiet der Habsburgermonarchie bis heute noch erinnert wird.

Die Konferenz möchte also auch die gegenwärtige Rezeption in den Blick nehmen. Wie sieht diese denn aus?

Keller: Wenn man ein Gefühl für die Rezeption des Dreißigjährigen Krieges heute bekommen möchte, muss man nur in eine Buchhandlung gehen. Hier sieht man, dass gerade aus Anlass des 400sten Jubiläums des Kriegsbeginns zu diesem Thema viel publiziert wurde. Vor allem im deutschsprachigen Raum wird der Dreißigjährige Krieg bis heute mit einer großen Katastrophe und mit 30 Jahren Schrecken assoziiert. Das zeigen Buchtitel wie „Der Krieg der Kriege“, „Verwüstung“ oder „Die Reiter der Apokalypse“.

Es gab Regionen im Heiligen Römischen Reich, die kein einziges Mal direkt vom Krieg getroffen wurden. Dazu gehören auch weite Teile des heutigen Österreich.

Nun gibt es keinen Zweifel daran, dass es in weiten Teilen, vor allem des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, gewaltige Verluste, viele Tote und Kriegsgräuel gegeben hat. Aber was es auch zu verdeutlichen gilt, ist die Tatsache, dass der Krieg nicht in allen Regionen und in derselben Intensität 30 Jahre gewütet hat. Es gab Regionen im Heiligen Römischen Reich, die kein einziges Mal direkt vom Krieg getroffen wurden. Dazu gehören auch weite Teile des heutigen Österreich, also der Habsburgermonarchie.

Wir wollen das genauer beleuchten und darauf hinweisen, dass die Relevanz des Krieges für alle Länder stark differierte. Ungarn beispielsweise war nur am Beginn des Krieges für wenige Jahre teilweise betroffen. Böhmen dagegen stellte wiederholt einen der Hauptkriegsschauplätze dar, während etwa Niederösterreich nur 1645/46 teilweise von einem Vormarsch der Schweden betroffen war. Im Zuge unserer Konferenz möchten wir auf diese Differenzen hinweisen und damit auch unterschiedliche Arten des Erinnerns analysieren.

Wie wird dieser Krieg heute außerhalb Mitteleuropas erinnert?

Keller: Auch in Frankreich ist der Dreißigjährige Krieg, obwohl der König ebenfalls einer der Hauptakteure war, kaum im breiten Geschichtsbewusstsein verankert. In Schweden hingegen hat der Krieg eine wichtige Bedeutung als militärische und politische Erfolgsgeschichte. Man kann also erkennen, dass regionale Bezüge der Ereignisse und ihre politischen Konsequenzen die Erinnerung mitprägen.

Welche Quellen nutzen Historiker/innen, um über den Dreißigjährigen Krieg zu forschen?

Keller: Klassischerweise wurde dieser Krieg wie die meisten anderen Kriege der Frühen Neuzeit lange in erster Linie von staatlichen Akten und von den Briefwechseln „großer“ Männer her behandelt. Viele dieser Quellen liegen seit langem gedruckt vor. In den letzten Jahrzehnten hingegen sind andere Quellen stärker in den Fokus gerückt. So wurden Selbstzeugnisse, also Tagebücher und autobiografische Schriften, von „kleinen“ Leuten, von Söldnern, Bauern oder Handwerkern, ebenso wie von Adeligen verstärkt analysiert. Dadurch wurden etwa der Alltag im Krieg oder Formen von Gewalterfahrung viel besser erkennbar, aber auch, wie ausschlaggebend der soziale Status dafür war, wie man vom Krieg betroffen war. Auch Zeitungen und Flugschriften wurden untersucht und damit die Rolle von Propaganda im Krieg und für den Krieg sowie für die Entwicklung des Pressewesens herausgearbeitet.

Was in Österreich nicht im breiten Bewusstsein verankert ist, sind die Folgen für die Bevölkerung. Über Steuern aus den Erbländern, also auch aus Kärnten, der Steiermark oder Niederösterreich, wurde die kaiserliche Kriegsführung finanziert.

Verändert die aktuelle Forschung auch die Beschreibung der Habsburger?

Keller: Ich glaube nicht, dass die aktuelle Forschung und Rezeption des Dreißigjährigen Krieges etwas an der Wahrnehmung der Habsburger ändert. Es war immer klar, dass der Kaiser - also Ferdinand II. beziehungsweise Ferdinand III. - eine zentrale Kriegspartei darstellte. Was allerdings zumindest in Österreich nicht im breiten Bewusstsein verankert ist, sind die Folgen für die Bevölkerung. Über Steuern aus den Erbländern, also auch aus Kärnten, der Steiermark oder Niederösterreich, wurde die kaiserliche Kriegsführung finanziert. Der Krieg hat damit auch die kaiserlichen Untertanen getroffen. Wesentliches Ziel unserer Konferenz ist nicht die Revision eines Geschichtsbildes, sondern erstmals eine differenzierte Gesamtschau in Angriff zu nehmen. Dabei geht es um Kriegshandeln und Kriegserleben ebenso wie um staatliche Entwicklung und Erinnerungspolitik in der Habsburgermonarchie.

 

Katrin Keller ist Direktorin des Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW und wissenschaftliche Direktorin für den Forschungsbereich Geschichte der Habsburgermonarchie. Seit 2017 ist Keller auch korrespondierendes Mitglied der ÖAW.

„Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg“ lautet der Titel einer Tagung vom 17. bis 18. Oktober 2018 in Wien. Sie wurde gemeinsam organisiert vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW, dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv.

Der Blog „Geschichte Österreichs“ auf derstandard.at bietet ebenfalls mehr zum Thema. Dort findet sich der Beitrag „400 Jahre Dreißigjähriger Krieg – kein Jubiläum für Österreich?“ von Katrin Keller zum Nachlesen. 

 

Programm der Tagung

Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW